Ein Ausverkauf an den europäischen Börsen weckte am Donnerstag üble Erinnerungen an die Schuldenkrise der Eurozone. Anleger zogen in Scharen ihr Geld aus dem Aktienmarkt – aus wachsender Sorge über die stockende wirtschaftliche Erholung der Region und die offenkundigen politischen Querelen darüber, wie sich die Lage retten lässt.
In Griechenland und Portugal, den angeschlagensten und finanziell wackeligsten Euro-Ländern, fielen die Kurse von Aktien und Staatsanleihen am Donnerstag besonders stark. Doch die Probleme haben längst auch die größten Volkswirtschaften der Währungsunion erfasst.
Selbst im wirtschaftsstarken Deutschland, das die Schuldenkrise der Jahre 2010 bis 2012 relativ unbeschadet überstanden hat, kippte die Regierung diese Woche ihre Wachstumsprognose für dieses und nächstes Jahr. Zudem rutschte der Konjunkturindex des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung – ein wichtiges Stimmungsbarometer – erstmals seit fast zwei Jahren ins Minus.
Politiker haben sich etwas vorgemacht
Sollten die Turbulenzen an den europäischen Finanzmärkten andauern, könnte es die Zuversicht der europäischen Spitzenpolitiker auf den Prüfstand stellen. Sie vertraten bisher die Auffassung, dass sie ihre Währungsunion mit neuen Vorschriften für Haushalte, Banken und Rettungsprogramme ausreichend abgesichert haben.
Die europäischen Regierungen haben sich „etwas vorgemacht“ zu glauben, dass die Krise vorüber sei und sich die Eurozone wieder erholen werde, sagt Charles Wyplosz, Wirtschaftsprofessor am Genfer Graduate Institute.
Jetzt schwäche sich das globale Wachstum ab, aber die Exporte reichten nicht aus, um Europas Probleme zu überwinden, sagt Wyplosz. Die Regierungen debattierten weiter über Sparhaushalte, während sich die Europäische Zentralbank als „impotent“ erwiesen habe, das Wachstum anzuregen.
„Was wir jetzt sehen ist die Offenbarung, dass die Lage in der Eurozone sehr prekär ist“, sagt der Ökonom. „Wir sitzen auf einem Pulverfass.“
Quer durch die Eurozone stürzten am Donnerstag die Aktienkurse ab. Allein in Deutschland schaffte der Leitindex Dax nach vorübergehenden Verlusten von mehr als 2 Prozent zum Handelsschluss noch ein kleines Plus von 0,4 Prozent. In den USA folgten die Aktienkurse zunächst den schlechten Vorgaben in Europa, erholten sich am Ende aber von ihren Verlusten.
Die dramatischste Entwicklung zeigte sich am Anleihemarkt: Abrupt schoss die Rendite zehnjähriger griechischer Staatsanleihen in die Höhe. Zum Handelsschluss lag sie mehr als einen Prozentpunkt höher bei fast 9 Prozent – ein Niveau, das es den Griechen so gut wie unmöglich machen dürfte, sich bereits wie erhofft im nächsten Jahr eigenständig über die Finanzmärkte zu finanzieren.
Ausverkauf erinnert an den Beginn der Schuldenkrise
Der Ausverkauf vom Donnerstag ist bei weitem nicht vergleichbar mit der Finanzpanik, die vor wenigen Jahren fast zum Zusammenbruch der Währungsunion geführt hat. Doch sie erinnert an die Anfangszeit der Krise, als ans Licht kam, wie marode der griechische Staatshaushalt war, und Anleger daraufhin auch die Finanzen anderer Länder in Frage stellten.
Erst nach dem Versprechen von EZB-Präsident Mario Draghi, alles zu tun, um den Euro zu stützen, nahm der Druck auf die Regierungen ab. Zwei Jahre lang herrschte relative Ruhe. Nun aber streiten die europäischen Politiker wieder über die Wirtschaftspolitik. Und die sich verschärfende Unstimmigkeit, wie das Wachstum wieder in Schwung gebracht werden könnte, verhindere eine gemeinsame Reaktion, klagen viele Politiker.
So plädiert das von Deutschland geführte Lager für eine Konsolidierung der Staatshaushalte und mahnt zu Deregulierung in Frankreich und Italien, während die andere Seite eine auf Expansion ausgerichtete Finanz- und Geldpolitik als die Lösung sieht.
Die Regierungen in Rom und Paris haben in ihren jüngsten Haushaltsentwürfen für das Jahr 2015 beide höhere Defizite in Kauf genommen, um ihre staatliche Konjunktur- und Ausgabenpolitik voranzutreiben. Sie argumentieren, in der Eurozone gäbe es zu wenig Nachfrage.
„Eine Wiederbelebung des Wachstums ist der beste Weg zur Stabilisierung der Märkte“, sagte der französische Präsident François Hollande. Die schwache Konjunktur in Europa müsse ein Thema bei dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs in der kommenden Woche sein.
Auch Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi forderte bei einem Gipfeltreffen europäischer und asiatischer Staaten in Mailand am Donnerstag: „Entweder wir treten geschlossen auf oder die Krise wird dramatisch an die internationalen Märkte zurückkehren und am Ende wird es gar keine Gewinner geben.“
Aber ihre Forderungen nach finanzieller Nachgiebigkeit bringt sie auf Kollisionskurs mit Deutschland und anderen nordeuropäischen Staaten, die den Reformdruck auf Rom und Paris aufrechterhalten wollen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel rückte am Donnerstag von ihrer Position nicht ab: „Alle Mitgliedsstaaten müssen die gestärkten Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts voll akzeptieren“, sagte sie in Berlin.
Frankreich und Deutschland streiten sich
Kritiker warnen seit langem, dass eine Währungsunion nur dann nachhaltig sein könne, wenn es zugleich eine politische und fiskalische Union gäbe. Diese müsste Europas gebündelte Finanzkraft den schäwcheren Mitgliedstaaten zur Verfügung stellen.
„Im zurückliegenden Jahr hatten Anleger die Eurozone etwas aus dem Blick verloren”, sagt Nicolas Veron, der für die Brüsseler Denkfabrik Bruegel und das Washingtoner Peterson Institute for International Economics tätig ist. „Doch jetzt schauen sie wieder genau hin wegen der Differenzen zwischen Frankreich und Deutschland und vor allem wegen des Lärms aus Griechenland.“
In jedem wichtigen Land der Eurozone stiegen am Donnerstag die Renditen von Staatsanleihen. Diese bewegen sich gegenläufig zu den Kursen und sind ein Zeichen für die rapide sinkende Nachfrage der Anleger. Nach Griechenland traf es vor allem die ehemaligen Krisenländer Portugal und Irland stark, die beide bereits internationale Rettungshilfen erhalten haben. Auch in Italien, wo die Wirtschaft seit Anfang 2011 nicht mehr gewachsen ist, stiegen die Anleiherenditen.
Französische Staatsanleihen, bei denen Anleger lange Zuflucht gesucht hatten, waren ebenfalls betroffen. Ratingagenturen hatten jüngst ihre Einschätzung der französischen Kreditwürdigkeit ins Wanken gebracht und mit einer Abstufung gedroht. Das stellt die Pläne von Präsident Hollande in Frage, den Staatshaushalt inmitten einer Phase lang anhaltender wirtschaftlicher Stagnation zu reparieren.
Spanien zog bei einer Auktion langjähriger Staatsanleihen am Donnerstag unerwartet wenig Käufer an.
Griechenland will vorzeitig an den Kapitalmarkt zurück – es wirkt wie eine fixe Idee
Griechenland sorgt einmal mehr für Turbulenzen an den Märkten der Eurozone aufgrund von Zweifeln am Willen und der Fähigkeit, seine Finanzen zu stabilisieren. Die Regierung in Athen möchte vorzeitig aus dem internationalen Rettungsprogramm aussteigen. Hinzu kommt die politische Unsicherheit angesichts möglicherweise vorgezogener Wahlen Anfang 2015, aus denen linksgerichtete Parteien als Sieger hervorgehen könnten.
Der griechische Ministerpräsident Antonis Samaras hatte, um Gegner der harten Sanierung für sich zu gewinnen, den Rückzug aus dem Hilfsprogramm von EU, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank für Ende diesen Jahres ins Spiel gebracht. Danach sollte sich das Land, so seine Idee, eigenständig über die Märkte und private Investoren finanzieren. Das Land müsste sich rund 9 Milliarden Euro an den Märkten beschaffen – zu vertretbaren Zinsen.
„Zu solchen Ideen sagen die Märkte Nein danke“, meint Gareth Colesmith, Portfoliomanager bei Insight Investment. „Das ist kein Angebot, auf das man eingehen kann.“
Außerdem sei vielen Marktteilnehmern klar geworden, dass die derzeitige Regierung nur noch bis Februar oder März im Amt sein könnte, sagt Nick Malkoutzis, Herausgeber einer auf Wirtschafts- und Politikanalyse spezialisierten griechischen Webseite. Die Koalition kämpft derzeit damit, ausreichend Unterstützer im Parlament zu finden, um Anfang 2015 einen neuen Staatspräsidenten zu wählen. Scheitert sie daran, könnten Neuwahlen vor der Tür stehen.
Nach Meinungsumfragen könnte die linksgerichtete Syriza-Partei, die das Sanierungsprogramm vehement ablehnt, stärkste politische Kraft werden und die Regierung führen. „Syriza ist eine unbekannte Größe und es mangelt ihr an Erfahrung. Das beunruhigt die EU und den IWF und die Märkte“, sagt Malkoutzis.
viaGriechenland lässt die Eurokrise wieder aufleben – WSJ.de.